Innergemeinschaftlicher Erwerb
Umsatzsteuer
Der innergemeinschaftliche Erwerb ist eine der drei Hauptformen, die zur Umsatzsteuerpflicht führen. Neben der Lieferung gegen Entgelt und der Einfuhr aus Drittstaaten ist der Erwerb von Waren aus anderen EU-Mitgliedstaaten ins Inland relevant. Rechtsgrundlage dafür sind § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG sowie § 1a UStG.
Ein innergemeinschaftlicher Erwerb liegt vor, wenn ein Gegenstand im Rahmen einer Lieferung aus einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen überführt wird. Die Steuer entsteht im Bestimmungsland, also dort, wo die Ware letztlich verbraucht wird. In diesem Land unterliegt der Erwerb der Umsatzsteuer. Im Ursprungsland bleibt die Lieferung steuerfrei.
Besonderheit: Obwohl es sich um einen Wareneingang handelt, wird der Erwerb wie eine eigene Lieferung behandelt und entsprechend geprüft.
Innergemeinschaftliche Erwerbe und ihre steuerliche Beurteilung sind regelmäßig Thema in der Steuerberaterprüfung. In unseren Kernlehrgängen und Klausurenkursen gehen wir daher auf dieses und weitere Umsatzsteuer-Themen ein und trainieren mit Ihnen entsprechende Prüfungsfragen.
Ablauf der steuerlichen Beurteilung
Die steuerliche Beurteilung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs folgt einem klar strukturierten Ablauf. Ziel ist es, zu prüfen, ob der Erwerb steuerbar, steuerpflichtig, steuerfrei oder nicht steuerbar ist und wer gegebenenfalls die Umsatzsteuer schuldet.
- Umsatzart: Innergemeinschaftlicher Erwerb gem. § 1a UStG
- Ort: Ende der Warenbewegung, § 3d Satz 1 UStG
- Zeitpunkt: Beginn der Warenbewegung
- Steuerbarkeit: Wenn der Ort im Inland liegt und ein Entgelt gezahlt wird
- Steuerpflicht: Wenn keine Steuerbefreiung greift, § 4b UStG
- Steuerschuldner: Erwerber, § 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG
- Steuersatz: Regel- oder ermäßigter Satz, § 12 UStG
- Bemessungsgrundlage: Entgelt inkl. Nebenkosten, keine Herausrechnung der USt
- Entstehung der Steuer: Mit Rechnungsstellung oder spätestens zum Monatsende des Folgemonats
- Vorsteuerabzug: Zeit- und betragsgleich, § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG
Arten innergemeinschaftlicher Erwerbe nach § 1a UStG
Nach § 1a UStG gibt es vier grundlegende Arten des innergemeinschaftlichen Erwerbs. Diese unterscheiden sich je nach Art des Erwerbers, der Art der Lieferung sowie dem Ort, von dem die Warenbewegung ausgeht:
1. Regulärer (realer) innergemeinschaftlicher Erwerb - § 1a Abs. 1 UStG
- Betrifft Unternehmer, die regelbesteuert sind.
- Voraussetzungen:
- Die Ware gelangt von einem EU-Mitgliedstaat ins Inland.
- Der Erwerber ist Unternehmer oder eine juristische Person.
- Der Lieferer ist ebenfalls Unternehmer und kein Kleinunternehmer.
Ein Typischer Fall ist z. B. der Kauf von Waren aus einem anderen EU-Land für das Unternehmen.
2. Fiktiver innergemeinschaftlicher Erwerb durch Verbringen - § 1a Abs. 2 UStG
Der fiktive innergemeinschaftliche Erwerb durch Verbringen betrifft Fälle, in denen ein Unternehmer eigene Waren in ein anderes EU-Land bringt. Es liegt keine Lieferung an einen Dritten vor. Beispiel: Ein Unternehmer bringt Lagerware aus Frankreich in sein deutsches Lager. Dabei wird ein Erwerb fingiert, obwohl keine Gegenleistung erfolgt.
3. Innergemeinschaftlicher Erwerb durch Schwellenerwerber - § 1a Abs. 3-5 UStG
- Gilt für bestimmte Erwerbergruppen, die nicht immer der Erwerbsbesteuerung unterliegen:
- Kleinunternehmer (§ 19 UStG)
- Pauschalierende Landwirte (§ 24 UStG)
- Juristische Personen ohne Unternehmereigenschaft
- Unternehmer, die nur steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug tätigen
Die Erwerbsbesteuerung tritt nur ein, wenn die Erwerbsschwelle von 12.500 € überschritten wird oder freiwillig auf die Erwerbsschwelle verzichtet wird (Option durch USt-IdNr.).
4. Innergemeinschaftlicher Erwerb neuer Fahrzeuge - § 1b UStG
- Gilt unabhängig vom Status des Erwerbers.
- Jeder erwirbt innergemeinschaftlich, wenn:
- ein neues Fahrzeug gekauft wird (Autos, Boote, Flugzeuge),
- das Fahrzeug aus einem anderen EU-Mitgliedstaat stammt,
- und die gesetzlichen Voraussetzungen für "neu" erfüllt sind (z. B. bei Pkw: < 6.000 km oder < 6 Monate alt).
Auch Privatpersonen sind hier steuerpflichtig.
Tatbestandsmerkmale für einen regulären Erwerb nach § 1a Abs. 1 UStG
Für einen regulären innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 1a Abs. 1 UStG müssen alle drei Tatbestandsmerkmale kumulativ erfüllt sein. Diese Voraussetzungen betreffen die Ware selbst, den Erwerber und den Lieferer.
Hier die Tatbestandsmerkmale im Überblick:
- Gelangen eines Gegenstands von einem anderen EU-Staat ins Inland (bewegte Lieferung erforderlich)
- Erwerber ist ein Unternehmer oder eine juristische Person
- Lieferer ist ein Unternehmer, der die Ware gegen Entgelt liefert und nicht als Kleinunternehmer gilt
Bei Verbringungen von Waren (fiktiver Erwerb) handelt es sich um innergemeinschaftliche Erwerbe ohne Dritten, bei denen ein Unternehmer Gegenstände in das Inland verbringt.
Besonderheit bei fehlerhafter Verwendung der USt-IdNr.: Wird eine falsche USt-IdNr. genutzt, entstehen unter Umständen zwei Erwerbe in unterschiedlichen Staaten. Der Erwerb gilt im anderen Staat als erfolgt, bis der Erwerber die Besteuerung im Bestimmungsland nachweist.
Steuerbefreiungen nach § 4b UStG
§ 4b UStG regelt Steuerbefreiungen, bei denen keine Umsatzsteuer anfällt, obwohl der Erwerb grundsätzlich steuerbar wäre. Diese Ausnahmen gelten nur in besonderen Fällen und knüpfen oft an bereits bestehende Steuerbefreiungen im Umsatzsteuerrecht an.
Hier die wichtigsten Punkte zusammengefasst:
- Erwerb bestimmter steuerfreier Gegenstände (z. B. Gold für Zentralbanken, gesetzliche Zahlungsmittel, Seeschiffe)
- Erwerbe, die bei der Einfuhr steuerfrei wären
- Erwerbe, die für steuerfreie Ausgangsumsätze genutzt werden
Bemessungsgrundlage
Die Umsatzsteuer wird auf das vereinbarte Entgelt berechnet. Umrechnungen in Euro erfolgen nach § 16 Abs. 6 UStG zum Zeitpunkt der Steuerentstehung. Nachträgliche Preisänderungen (z. B. Skonto) werden gem. § 17 UStG berücksichtigt.
Steuerentstehung
Die Steuer entsteht mit der Ausstellung der Rechnung oder spätestens mit Ablauf des Folgemonats. Vorauszahlungen bleiben unberücksichtigt.
Vorsteuerabzug
Der Erwerber kann die Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen, wenn der Erwerb für das Unternehmen erfolgt und der Ort im Inland liegt. Eine Rechnung ist dafür nicht erforderlich.
Schwellenerwerber
Diese tätigen nur dann steuerbare innergemeinschaftliche Erwerbe, wenn die Erwerbsschwelle von 12.500 Euro überschritten wird oder auf die Anwendung dieser Grenze verzichtet wird.
Zum Kreis der Schwellenerwerber gehören:
- Unternehmer mit ausschließlich steuerfreien Umsätzen
- Kleinunternehmer
- Pauschalierende Landwirte
- Juristische Personen, die nicht Unternehmer sind
Wird die Erwerbsschwelle nicht überschritten:
- erfolgt keine Erwerbsbesteuerung im Inland
- die Lieferung ist im Ursprungsland steuerpflichtig (mit ausländischer Umsatzsteuer)
Optional kann freiwillig auf die Anwendung der Erwerbsschwelle verzichtet werden, indem die USt-IdNr. verwendet wird. Der Verzicht bindet für mindestens zwei Jahre. Vorteilhaft ist dies, wenn der deutsche Steuersatz niedriger als der ausländische ist.
Wird verzichtet, unterliegt der Erwerb der deutschen Umsatzsteuer. Ein Vorsteuerabzug ist jedoch nicht möglich, wenn keine Berechtigung vorliegt.
Bei Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren und neuer Fahrzeuge entsteht stets ein innergemeinschaftlicher Erwerb, unabhängig von der Erwerbsschwelle.